Das ,Freudenchristentum‘ des Salzwedeler Pfarrers Stephan Praetorius (1536–1603)

Das ,Freudenchristentum‘ des Salzwedeler Pfarrers Stephan Praetorius (1536–1603)

Ansicht von Salzwedel aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Salzwedel#/media/File:Salzwedel-1652-Merian.jpg)

Die Stadt Salzwedel war im 16. Jahrhundert ein wirtschaftliches und religiöses Zentrum in der nördlichen Altmark. Früh schon hatte der evangelische Glaube hier Fuß gefasst. Nach der offiziellen Einführung der Reformation 1539/40 wurden die kirchlichen Verhältnisse rasch im Sinne des Wittenberger Reformprogramms erneuert. Ein wichtiger Unterstützer der religiösen Transformation war der Salzwedeler Propst Wolfgang von Arnim, der sein kirchenleitendes Amt noch zu Zeiten der Papstkirche angetreten hatte, nun aber die Reformation unterstützte. Dank ihrer Größe und ihres Wohlstands bot die Stadt ein attraktives Wirkungsfeld für evangelische Prediger, und an den Salzwedeler Lateinschulen wirkten Gelehrte wie der spätere Frankfurter Professor Abdias Prätorius.

Möglicherweise verwandt mit diesem Abdias Prätorius war der 1536 (oder 1539) geborene Stephan Schulz, der später seinen Namen ins Lateinische übersetzte und sich wie sein Lateinschullehrer „Praetorius“ nannte. Stephan Praetorius studierte in Rostock, wohin sich die Studenten aus den norddeutschen Hansestädten üblicherweise wandten. Dort lernte er vor allem bei dem Theologen David Chyträus, der ihm die Wittenberger Reformation nahebrachte, wobei er Luthers und Melanchthons Theologie gleichermaßen berücksichtigte. 1565 kehrte der junge Praetorius in seine Heimatstadt zurück, wo er Diakon (d.h. zweiter Pfarrer) an der Marienkirche in der Altstadt Salzwedel wurde. 1569 stieg er dann zum Pfarrer an der Katharinenkirche in der Neustadt Salzwedel auf, wo er bis zu seinem Tod 1603 wirkte. Praetorius war ein mit Predigt und Seelsorge um seine Gemeinde bemühter Geistlicher. Mehrfach trafen Seuchenwellen die Stadt, während derer er sich aufopferungsvoll um die Menschen kümmerte und tröstete und stärkte, wo er nur konnte.

Geschichtlich bedeutsam wurde Praetorius aber nicht durch sein Wirken als Pfarrer, sondern durch seine Schriftstellerei. Nach seiner Rückkehr von der Rostocker Universität begann er nämlich bald, kleine Schriften in lateinischer und deutscher Sprache zu veröffentlichen, die vor allem die die Vertiefung des christlichen Glaubens und die Ausgestaltung des christlichen Lebens thematisierten. Diese Predigtdrucke und religiösen Traktate bereiteten den evangelischen Glauben gut fasslich auf und luden zur Intensivierung der Glaubenspraxis ein. Da gab es Trostschriften für Witwen und Waisen sowie für Kranke und Sterbende; da gab es Ausblicke auf die Endzeit und Anleitungen zum christlichen Leben in der Welt; da gab es Unterweisungen über die Sakramente und geistliche Lieder. Aus ihnen allen spricht ein selbstbewusster lutherischer Glaube an Jesus Christus, der allein und das Heil des Menschen ist, das durch die Predigt und die Sakramente zuteil wird. Praetorius war so erfüllt von diesem Rechtfertigungsglauben, das all seine Schriften und Predigten ein fröhlicher Grundton durchzieht. So stark, ja dominant ist die Freude des durch Christus erlösten Menschen bei ihm, das man seine Theologie in späterer Zeit kurzerhand als ,Freudenchristentum‘ bezeichnet hat.

Praetorius’ Schriften hatten zu seinen Lebzeiten keine größere Wirkung. Das änderte sich knapp zwanzig Jahre nach seinem Tod, als der Frömmigkeitsreformer Johann Arndt 1621/22 eine Sammelausgabe von Praetorius-Schriften herausbrachte. 1636 veröffentlichte der Danziger Prediger Martin Statius eine überarbeitete und vereinfachte Ausgabe dieser Schriften, die unter dem Titel „Geistliche Schatzkammer“ zu einem Bestseller wurde. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war diese „Schatzkammer“ im deutschen und nordischen Luthertum ein populäres Erbauungsbuch, vor allem in pietistischen und erwecklichen Kreisen. Das lutherische ,Freudenchristentum‘ des Salzwedeler Pfarrers entfaltete so Breiten- und Tiefenwirkung – und belegt die Vitalität der lutherischen Konfessionskultur in der Mark Brandenburg Ende des 16. Jahrhunderts.

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