Streit um Maria (1556)

Streit um Maria (1556)

Aufnahme Marias in den Himmel, Darstellung eines portugiesischen Malers vom Anfang des 16. Jahrhunderts (CC-BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50515386)

Evangelische Kirche im 16. und evangelische Kirche im 21. Jahrhundert unterscheiden sich in vielem. Der moderne Protestantismus vergisst leicht, dass die Reformation aus der spätmittelalterlichen Kirche hervorgegangen ist und in vielem dieser Tradition verhaftet blieb. Vor allem im Luthertum galt der Grundsatz, dass sich die Kirche an den entscheidenden Punkten an der Bibel zu orientieren habe, dass es aber in der konkreten Umsetzung dieser Orientierung Freiheit gab und die kirchliche Tradition bewahrt werden konnte. Ein Feld, auf dem sich dieser Traditionalismus innerhalb der biblischen Grundorientierung deutlich zeigte, war die Marien- und Heiligenverehrung. Das Augsburgische Bekenntnis von 1530 enthält einen eigenen Artikel dazu, der die Heiligenverehrung als Teil evangelischer Frömmigkeit bezeichnet: als Vorbilder christlichen Glaubens und Lebens – nicht als Vermittler des göttlichen Heils – seien sie in Ehren zu halten.

In Brandenburg wurden zahlreiche Marien- und Heiligenfeste weiter gefeiert. Zu diesen Festen zählte auch das wegen seiner fehlenden biblischen Begründung sonst in der Reformation eher kritisch gesehene Fest der Aufnahme Marias in den Himmel (15. August).

Dieses Fest war auch in Brandenburg umstritten, wie eine Auseinandersetzung im Jahr 1556 zeigt: Damals predigte der Berliner Propst Georg Buchholzer am 15. August darüber, dass Maria nach ihrem Tod mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden und jetzt bei Gott sei. Das war eine traditionelle Vorstellung, die die Gottesmutter von den übrigen Menschen abhob, die nach dem Tod erst noch bis zur Auferstehung des Leibes und zum Jüngsten Gericht warten mussten, bis sie mit Leib und Seele zu Gott eingehen durften. Nur Henoch, Mose und Elia war diese Auszeichnung schon zuvor zuteil geworden. Buchholzers Predigt traf auf den Widerstand des märkischen Generalsuperintendenten Johannes Agricola, der dem Fest kritisch gegenüberstand und den Propst der Irrlehre beschuldigte: Dieser habe Maria nicht nur als Vorbild christlichen Glaubens und Lebens dargestellt, sondern sie auch als zur Rechten Gottes thronende Miterlöserin bezeichnet. Es entwickelte sich ein hässlicher Streit, der am Ende vom Kurfürsten zugunsten Buchholzers entscheiden wurde. Der Festtag war und blieb im märkischen Festkalender und mit ihm auch die im Luthertum des 16. Jahrhunderts weiterhin lebendige Marien- und Heiligenfrömmigkeit.

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