1. November 1539 (historisches Ereignis)

Das Problem

Dass am 1. November 1539 das erste offizielle evangelische Abendmahl im Kurfürstentum Brandenburg stattgefunden hat (also ein Gottesdienst mit Gemeindekommunion unter beiderlei Gestalt und mit volkssprachlichen Einsetzungsworten) und dass dieses Abendmahl für Kurfürst Joachim II. als Auftakt der „christlichen Reformation“ in seinem Herrschaftsbereich galt, ist in der historischen Forschung unstrittig. Strittig ist allerdings, wo dieses Abendmahl stattfand, wer es als Liturg geleitet hat und wer an ihm teilgenommen hat. Es gibt nur wenige Quellen zu dieser Abendmahlsfeier, die zudem weder ein klares Bild ergeben noch untereinander zusammenpassen.

Die Quellen

Drei Quellengruppen sind zu unterscheiden: 1. Quellen aus der Zeit um 1539; 2. später niedergeschriebene Zeugnisse von Beteiligten; 3. spätere Darstellungen von Nicht-Beteiligten (vor allem Chroniken und Geschichtsdarstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts). Die dritte Quellengruppe ist für die Rekonstruktion irrelevant, weil sie keine gegenüber der ersten und zweiten Quellengruppe glaubwürdigen neuen Informationen enthält. Zur ersten Quellengruppe (den Quellen aus der Zeit um 1539) gehören:

  • Ein Brief von Philipp Melanchthon an Veit Dietrich vom 26.10.1539 (es ließen sich noch einige weitere Briefe benennen, die in ähnlicher Weise auf den 1. November 1539 vorausblicken), in dem es heißt: „Fui in his diebus in Marchia, accersitus a Ioachimo electore, quod ex Cratone audisse te existimo. Deliberatur de tollendis abusibus ecclesiarum, sed nollem adhiberi in consilium Mustelam [Witzel]. Ego quaedam ipsius deliberata reprehendi; sed quid futurum sit, exitus ostendet. Calendis Novembris inchoabitur res: Abolentur privatae liturgiae, conceditur sacerdotibus coniugium, tollitur invocatio sanctorum, iubetur pura doctrina tradi et proponitur vestra κατήχησις, conceditur integri sacramenti usus. Tantum una in re herebat ὁ Ἄρχων. Cupiebat adhuc retinere quotidianum liturgiam unam, a qua sententia deduci posset, si abesset Mustela“ (MBW.T 8,574,66–74 [Nr. 2294]).
  • Ein Brief von Eustachius von Schlieben an Herzog Albrecht von Preußen vom 3.11.1539, in dem es heißt: „die selben [sc. newe christhliche ordenunge] / omnium sanctorum iczt vorschinnen in den [in der] kirchen / alhier angehoben, des hochwirdige sacrament / des herren Jesu Christi aygener person mith / dem volk unther beyder gestalth enthpfangen / das also in ieren landen zcu halthen befolen“ (Abdrucke: Kreuzwege. Die Hohenzollern und die Konfessionen 1517-1740, hg. v. Mathis Leibetseder, Berlin 2017, 330 [hier mit der Lesung „in der“, das Brieforiginal ist nicht eindeutig zu entziffern und lässt beide Lesungen zu]; Quellen zur brandenburgischen Reformationsgeschichte, bearb. v. Andreas Stegmann, Tübingen 2020, Nr. 67).
  • Eine Notiz aus dem Rechnungsbuch der Neustadt Brandenburg von 1539, die besagt: „6 f. Durch Ehrrn Thomas Bawitz unndt Ehrn Bartelmess zue Berlinn verzehret, als Sie von Churf. G. zue der Reformation gefordert worden post omnium sanctorum“ (Abdruck: Jahresbericht über den historischen Verein zu Brandenburg a. d. H. 13–16, 1884, 98; eine andere Lesung des wohl nicht eindeutig zu entziffernden Texts ist überliefert in Nathanael Reinhertz Schäffer, Kurtze Einleitung in die Kirchen- und Reformations-Historie der Stadt Brandenburg, Brandenburg an der Havel 1740, 77).
  • Ein Bericht des Frankfurter Rats an den Kurfürsten vom 9.11.1539, in dem es heißt: „Vnd wie E. churf. gn. ferner In derselben Irer gnedigen anzeygung, vnder andern, vermelden, das e. churf. gn. das anheben solcher christlichen ordnung am tag aller heyligen angefangen, auch darzu vnßern pfarner vnnd predicanten verschrieben hetten, dieselbe mit anzusehen, den brauch zu lernen etc., Daruff wollen wir E. churf. gn. In vnderthenigkeyt nicht bergen, das wir solchs dem pfarner vnd dem prediger furgehalten, vnd vns ob ynen des erkundiget, ob Ine E. churf. g. schrifft zukomen. Alßo haben sie vns beyde diess angezeygt, das sie von solchen e. churf. gn. verschreyben kein wissenschafft hetten, sein alßo, vber vnßern vleissigen ermanen, daruff stracks gestanden, wie aber darmit zugangen weyll e. churf. g. schreyben vermag, das es geschen, ob ynen die brieff zugetragen, oder sunst verhalten, konnen wir nicht wissen“ (Original: GStAPK I. HA, Rep. 47, F 2; Abdrucke: CDB A 23,466f. [Nr. 460]; Quellen zur brandenburgischen Reformationsgeschichte, bearb. v. Andreas Stegmann, Tübingen 2020, Nr. 69).
  • Ein Brief von Georg III. von Anhalt an Joachim II. vom 15. November 1539, in dem es heißt: „Demnach euer gnaden [sc. Kurfürst Joachim II.], wie mir angezceigt, nicht allein das reine gotliche wort jn jren landen vnd auch jn derselbenn stift kirchenn zupredigen vorordent, Sondern auch mit abschaffung der eingefurten schedlichen Misbreuch Die ordenung vnd einsatzung des herren, des konigs der Ehrenn, des konigs aller konige, des herren aller herrenn widerumb lassen aufrichten vnnd also jn jrem Stift, als einem rechten gotshaus, Das opfer des lobs vnnd ehren des gotlichen nahmens Dem herren nun zugebracht vnnd teglich zubringenn, ps. 28“ (Abdruck: JBrKG 4, 1907, 156).
  • Ein Brief von Bischof Johann VIII. von Meißen an Bischof Johann Fabri von Wien vom 10.12.1539, in dem es heißt: „Idem officialis etiam dixit, quod Marchio Joachimus coram omnibus sub utraque specie communicaverit, et Lutheranas Missas celebrari passus sit. Episcopus Babelbergensis et Brandenburgensis in Marchionis ordinationem consensere. Episcopus de Lebuß adhuc in ancipiti est“ (Abschrift des 16. Jahrhunderts: Biblioteca Vallicelliana Rom, Ms. L 4, fol. 28; Abdruck: JBBKG 40, 1965, 41f.).
  • Ein Brief von Giovanni Morone an Alessandro Farnese vom 16.12.1539, in dem es heißt: „solo ho inteso, che [sc. Joachim II.] con gran cerimonia et pompa, presenti tutti gli soi Baroni, communicò sub utraque specie il giorno d‘ogni santo“ (Abdruck: Zeitschrift für Kirchengeschichte 3, 1879, 642).
  • Ein Brief von Johannes Cochläus an Bischof Gian Matteo Giberti von Verona vom 31. Januar 1540, in dem es heißt: „caeterum marchio Brandenburgensis elector nuper instinctu Philippi Melanchtonis luthericam fecit ordinationem in terris suis, vocatis ad eam dietam provincialem tribus episcopis suis, e quibus unus, nempe Brandenburgensis, consensisse dicitur et missam theutonice celebrasse, in qua sub utraque specie communicaverit principem et aulicos eius. audio et Wicelium, quia apud ipsum Berlini est, ad eam rem cooperari, nondum tamen certum habeo quid faciat“ (Abdruck: Zeitschrift für Kirchengeschichte 18, 1898, 423).

Es gibt eine Reihe von weiteren Briefen aus dieser Zeit (z.B. Glückwunschbriefe an den Kurfürsten wegen der Einführung der Reformation mitsamt den Antwortschreiben darauf), die in allgemeiner Weise auf die Abendmahlsfeier vom 1. November 1539 Bezug nehmen, ohne dass aus ihnen etwas über Ort, Beteiligte und Umstände hervorgeht. In den bislang bekannten Quellen der Jahre 1539 und 1540 ist nirgendwo vom Ort der ersten offiziellen Abendmahlsfeier die Rede, es werden der Kurfürst, der Adel, der Hofstaat, märkische Pfarrer und der Brandenburger Bischof als Beteiligte genannt und zur Feier selbst wird angemerkt, dass die Kommunion in beiderlei Gestalt stattgefunden habe und dass die deutsche Sprache verwendet worden sei. Alle genannten Hinweise sind quellenkritisch zu prüfen und müssen auf ihren Aussagegehalt hin untersucht werden.

Zur zweiten Quellengruppe (den später niedergeschriebenen Zeugnissen von Beteiligten) gehören eine Notiz Georg Buchholzers von 1561 und eine Notiz im Schwanebeckschen Hausbuch, die auf die Zeit nach 1571 zu datieren ist.

  • Bei Buchholzer heißt es: „Datum Anno / 1561 / am tage aller Heiligen / da jm 1539 jare / das Euangelium / am ersten zu Cölln an der Sprew / von mir offentlich ist geprediget / vnd das Sacrament / des Leibs vnd bluts Jhesu Christi / allen Christen / so es nach seiner aussetzunge heben begert / ist gegeben vnd gereicht worden / darumb sey Gott Lob / Ehr / preis vnd danck in Ewigkeit / AMEN. E. G. williger alter krancker Caplan Georgius Buchholtzer Probst zu Berlin“ (Abdruck: Herbergen der Christenheit 19, 1995, 109).
  • Im Schwanebeckschen Hausbuch heißt es: „Alle diese Junckern und Landsassen [die zuvor im Zusammenhang der Teltower Einigung aufgezählt wurden] sind am 31. Octobr. des benannten Jahres [1539] nach Spandow gereißt, wohin mein Vater seel. mich hat mitgenommen, und haben Tages darauf nach dem Vorgang, des Durchl. und Hochgebohrnen Churfürsten, Herrn Joachim des Jüngern Löbl. Gedächtniß, in der dasigen Pfarr-Kirchen das reine Evangelium öffentlich bekannt, und das heilige Sacrament unter beyderley Gestalt von gedachten Herrn Bischof Mathias empfangen“ (Thomas Philipp von der Hagen: Beschreibung der Stadt Teltow, aus Urkunden und glaubhaften Nachrichten zusammen getragen, Berlin 1767, 24f., Anm. w).

In diesen beiden Quellen wird ausdrücklich ein bestimmter Ort genannt: bei Buchholzer Cölln (also der auf der westlichen Spreeseite gelegene Teil der Doppelstadt Berlin-Cölln), ohne dass allerdings die Kirche näher benannt wird; bei Joachim von Schwanebeck die Spandauer Pfarrkirche St. Nikolai. Laut Buchholzer war er selbst der Liturg und von einer Beteiligung des Kurfürsten und des Brandenburger Bischofs ist keine Rede; laut Joachim von Schwanebeck war der Brandenburger Bischof der Liturg und die Teltower Adligen empfingen das Abendmahl, wobei „nach dem Vorgang“ sowohl die persönliche Anwesenheit des Kurfürsten, der ebendort als erster das Abendmahl empfing, als auch das Vorbild des Kurfürsten, der zuvor oder gleichzeitig anderenorts das Abendmahl empfing, meinen kann. Auch diese beiden Quellen sind auf ihren Quellenwert und ihren Inhalt kritisch zu prüfen.

Zur Rekonstruktion des 1. November 1539 aufgrund der zur Zeit bekannten Quellen

Die aufgezählten Zeugnisse lassen sich nicht in allen Punkten harmonisieren, und gerade bei den zentralen Fragen des Orts, des Liturgen und der Beteiligten bestehen unüberbrückbare Differenzen. Es ist auch damit zu rechnen, daß die genannten Quellen sich nicht auf dasselbe Ereignis beziehen, sondern daß es am 1./2. November 1539 mehrere Abendmahlsfeiern an unterschiedlichen Orten, mit unterschiedlichen Liturgen und mit unterschiedlichen Beteiligten gegeben hat.

Angesichts der Widersprüchlichkeit der wenigen bekannten Quellen muß man entweder auf eine Näherbestimmung von Ort, Liturg und Beteiligten verzichten oder man muß die Quellen auf der Basis quellenkritischer Überprüfung so gewichten und einander zuordnen, dass sich eine plausible, wenn auch unter Vorbehalt stehende Rekonstruktion ergibt. Was die beiden im Abstand von mehr als 20 bzw. mehr als 30 Jahren entstandenen, an allen drei Punkten (Ort, Liturg, Beteiligte) einander widersprechenden Berichte vorgeblicher Augenzeugen angeht, stellt sich die Frage, ob und inwieweit diese Berichte glaubwürdig sind, wie sie genau zu verstehen sind (z.B. das „nach dem Vorgang“ im Schwanebeckschen Hausbuch) und welchem man den Vorzug gibt. Was die Hinweise aus der Zeit um November 1539 herum angeht, fragt es sich, wie diese Informationen einzuschätzen und wie sie genau zu verstehen sind (z.B. das „alhier“ in Schliebens Brief vom 3. November 1539 oder der Hinweis im Rechnungsbuch auf eine Abendmahlsfeier am Tag nach Allerheiligen).

Im 19. und 20. Jahrhundert wurde die Frage von Ort und Umständen der Feier am 1. November 1539 aufgrund der bekannten Quellen immer wieder kontrovers diskutiert. Der Diskussionsstand Anfang des 20. Jahrhunderts ist dokumentiert in einem Buch von Paul Steinmüller (Einführung der Reformation in die Kurmark Brandenburg durch Joachim II., Halle a. S. 1903, 61–69) und einem Aufsatz von Christian Groß (Ort und Zeit der ersten evangelischen Abendmahlsfeier Kurfürst Joachims II., in: JBrKG 6, 1908, 122–135), der Diskussionsstand der 1960er Jahre bei Karl Themel (Was geschah am 1. und 2. November 1539 in Berlin und Spandau, in: JBBKG 40, 1965, 24–85) und Johannes Schultze (Noch einmal der „Vorgang“ am 1. November 1539 in Spandau, in: JGMOD 15, 1966, 340–344). Die beiden Quellenfunde in jüngerer Zeit (der Fund der Buchholzer-Notiz durch Adolf Laminski und der Fund des Schlieben-Briefs durch Mathis Leibetseder) werden für eine Lokalisierung der Abendmahlsfeier am 1. November 1539 in Berlin-Cölln in Anspruch genommen. Die bislang am besten begründete Einschätzung von Karl Themel ist allerdings damit noch nicht überholt, für den sich aus den Quellen „die Tatsache von zwei Messen Anfang November in der Mark“ (JBBKG 40, 1965, 42) ergibt: einer ersten evangelischen Abendmahlsfeier in der Spandauer Nikolaikirche am 1. November 1539 im Beisein von Joachim II. und Adligen, und einer zweiten evangelischen Abendmahlsfeier in der Cöllner Stiftskirche am 2. November 1539, zu der märkische Pfarrer eingeladen worden waren.

Andreas Stegmann

Weiterführende Literatur:

Groß, Christian: Ort und Zeit der ersten evangelischen Abendmahlsfeier Kurfürst Joachims II. (in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 6, 1908, 122–135)

Laminski, Adolf: Die offizielle Einführung der Reformation in Brandenburg begann am 1. November 1539 zu Berlin-Cöln (Herbergen der Christenheit 19, 1995, 107-109)

Ledebur, Leopold von: Ueber den Tag und Ort des Uebertritts des Churfürsten Joachim II. von Brandenburg zur lutherischen Kirche. Eine durch die dritte Secularfeier dieser Begebenheit veranlaßte Zusammenstellung, Berlin 1839

Leibetseder, Mathis: Kurfürst und Konfession. Der Gottesdienst vom 1. November 1539 als Teil kurfürstlicher Positionierungen im religiösen Feld des 16. Jahrhunderts (in: Reformation in Brandenburg. Verlauf, Akteure, Deutungen, hg. v. Frank Göse, Berlin 2017, 91–112)

Schultze, Johannes: Noch einmal der „Vorgang“ am 1. November 1539 in Spandau (Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 15, 1966, 340–344)

Stegmann, Andreas: Wo fand das erste offizielle evangelische Abendmahl im Kurfürstentum Brandenburg statt? – Zum Stand der wissenschaftlichen Diskussion im Reformationsjahr 2017 (in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins 66, 2017, 35–50)

Themel, Karl: Was geschah am 1. und 2. November 1539 in Berlin und Spandau (in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 40, 1965, 24–85)

Diesen Beitrag drucken

zurück zum Überblick