Brandenburg (Kurfürstentum)

1. Der Beginn der Reformation in Deutschland und die Auswirkungen auf Brandenburg (1517‒1535)

1.1. Martin Luther und die reformatorische Bewegung

Mark Brandenburg im 16. Jahrhundert

Mark Brandenburg im 16. Jahrhundert

Die Reformation war eine Frucht der spätmittelalterlichen Frömmigkeitsblüte. Im späten Mittelalter herrschte in ganz Deutschland ein reges Frömmigkeitsleben: Gottesdienste, Marien- und Heiligenverehrung, Bruderschaften, Armenfürsorge, Wallfahrten, häusliche Andacht und vieles mehr waren selbstverständlicher Teil des Alltags.

Die Menschen strebten nach dem göttlichen Heil und wollten sich mit ihrem Leben der göttlichen Gnade würdig erweisen. Auch in der Mark Brandenburg finden sich die Spuren dieser Frömmigkeitsblüte, etwa die Backsteinkirchen oder die prächtigen Kirchenausstattungen des späten Mittelalters. Es war gerade dieses Bemühen um die christliche Frömmigkeit, die den Wittenberger Augustinermönch Martin Luther in den 95 Thesen vom 31. Oktober 1517 fragen ließ, ob denn nicht die von der Kirche massiv propagierte Ablassfrömmigkeit den religiösen Ernst, mit dem die Menschen ihren christlichen Glauben lebten, untergrub.

Der Ablass war eingeführt worden, um die erdrückenden Ansprüche des Bußverfahrens etwas abzumildern: Wer seine Sünde gebeichtet hatte und die priesterliche Absolution und damit Gottes Vergebung empfangen hatte, musste immer noch Genugtuungsleistungen erbringen, um den Ernst der eigenen Reue und die Bereitschaft zur Besserung zu beweisen. Aber diese geforderten Genugtuungsleistungen gingen oftmals über die Kräfte der Durchschnittschristen. Hier sollte der Kirchenschatz Abhilfe schaffen, der aus den überzähligen Verdiensten Christi und der Heiligen bestand, die von der Kirche dem bußfertigen Sünder übertragen und gegen die Genugtuungsleistungen aufgerechnet wurden. Um diesen Ablass ‒ also den Nachlass von Genugtuungsleistungen ‒ zu bekommen, musste man eine mehr oder minder große Frömmigkeitsleistung erbringen, etwa eine Wallfahrt unternehmen oder eine Geldspende leisten. Solchen Ablass gab es auch in der Mark Brandenburg, etwa zur Unterstützung von Kirchenbauten oder im Zusammenhang der großen Ablasskampagne von Erzbischof Albrecht von Mainz 1517/18.

Das Ablasswesen ‒ so sah es Luther ‒ lief darauf hinaus, sich um die tätige Reue für seine Sünde drücken und sich in falscher Sicherheit wiegen zu können. Luther setzte dagegen die Vorstellung, dass das ganze christliche Leben Buße sein solle und dass man sich zugleich ganz und gar auf die Gnade Gottes verlassen dürfe. Eine Kirche, die Zweifel daran aufkommen ließ, dass sie es mit Gottes Gnade und der Buße des Glaubenden nicht ernst genug nahm, musste an das Wort erinnert werden, mit dem Jesu Verkündigung nach den synoptischen Evangelien begann: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium“ (Mt. 4,17). Hinter Luthers Ablasskritik, wie er sie etwa in den 95 Thesen formulierte, stand eine Theologie, die auf ganz neue Weise die Bibel und die göttliche Gnade zum Zuge bringen wollte. Und diese doppelte Fokussierung auf das Prinzip „allein die Bibel“ (sola scriptura) und die Prinzipien „allein Christus“ (solus Christus), „allein durch die Gnade“ (sola gratia) und „allein durch den Glauben“ (sola fide) erwies sich als Anstoß zu einer tiefgreifenden Erneuerung der Kirche. Mit dieser Theologie begann die Reformation, und sie machte die Reformation in den folgenden Jahren zu einer der wichtigsten Erneuerungsbewegungen der Christentumsgeschichte.

Luthers Thesen gegen den Ablass und die hinter ihnen stehende reformatorische Theologie lösten eine breite Kontroverse aus, in der sich die Papstkirche gegen Luther stellte und ihn mit Exkommunikation bedrohte. Die brandenburgischen Hohenzollern und die Theologen der Universität Frankfurt a.O. wandten sich früh und kompromisslos gegen Luther. Doch der Rückhalt seiner Unterstützer, vor allem seines Landesherren, des Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen, bewahrte Luther davor, in einem Klosterkerker oder auf einem Scheiterhaufen zu enden. Stattdessen wurde er zur Führungsfigur einer Basisbewegung, die seit etwa 1520 seine Ideen verbreitete und nach und nach in kirchliche Praxis umsetzte. Diese ,reformatorische Bewegung‘ breitete sich Anfang der 1520er Jahre nicht nur in Luthers Kursachsen, sondern auch in vielen anderen Regionen Deutschlands aus: in Hessen, in Franken, in der Deutschschweiz, in den Städten Süd- und Norddeutschlands. Die Veränderungsdynamik der reformatorischen Bewegung war so stark, dass die weltlichen Obrigkeiten eingreifen mussten: Entweder stellten sie sich gegen die Reformation und unterdrückten die reformatorische Bewegung mit Gewalt; oder sie schlossen sich der Reformation an und leiteten die reformatorische Veränderungsprozesse in geordnete Bahnen. Zur Reformation ,von unten‘ durch die reformatorische Bewegung trat so die Reformation ,von oben‘ durch die weltlichen Obrigkeiten.

1.2. Die reformatorische Bewegung in Brandenburg und die antireformatorische Kirchenpolitik von Kurfürst Joachim I.

Die reformatorische Bewegung erreichte auch das Kurfürstentum Brandenburg, das ja in unmittelbarer Nachbarschaft zu den früh von der Reformation erfassten Territorien und Städten Mittel- und Norddeutschlands lag. Durch Flugschriften, Lieder, umherziehende Prediger oder einfach durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiteten sich Luthers Ideen auch hier. Eine Reihe von Nachrichten zeigt die Auswirkungen der reformatorischen Bewegung auf Brandenburg: Traditionelle Frömmigkeitspraktiken fanden weniger Zuspruch; Luthers Übersetzung des Neuen Testaments wurde gelesen; man sang reformatorische Lieder; Kleriker und Laien propagierten die Reformation; und immer wieder kam es zu Konflikten zwischen Sympathisanten und Gegnern der Reformation. Die reformatorische Bewegung zeigte sich zuerst in den Kursachsen benachbarten Gebieten im Westen und Süden des Kurfürstentums Brandenburg: in der Niederlausitz (z.B. in Cottbus und Sommerfeld) und in der Altmark (z.B. in Stendal, Salzwedel oder Gardelegen). Aber auch in den größeren Städten des übrigen Landes machte sie sich bemerkbar, etwa in Berlin-Cölln, Brandenburg a.H., Frankfurt a.O. oder Prenzlau.

Anders aber als in anderen Gegenden gewann die reformatorische Bewegung in der Mark aber weder an Breite noch an Tiefe. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen scheint das Interesse an der Reformation in der Bevölkerung nicht so groß wie anderswo gewesen zu sein; zum anderen konnten die kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten die Reformation erfolgreich blockieren. Vor allem der brandenburgische Kurfürst Joachim I., der von Anfang ein strikter Gegner der Reformation war, setzte sich nachdrücklich für deren Unterdrückung in seinem eigenen Territorium ein. Seit dem Wormser Reichstag 1521 war die Reformation reichsrechtlich verboten und durfte als Ketzerei gewaltsam bekämpft werden. Unterstützt wurde Joachim I. dabei von den drei Bischöfen des Landes, die in Brandenburg an der Havel, Havelberg und Lebus residierten, sowie von den auswärtigen Bischöfen, deren Diözesen in das Kurfürstentum hineinreichten. Unterstützt wurde der Kurfürst auch vom altgläubigen Klerus vor Ort, der reformatorische Regungen zum Schweigen brachte. Die reformatorische Bewegung konnte sich im Kurfürsten Brandenburg darum anfangs kaum ausbreiten und das spätmittelalterliche Kirchenwesen blieb weitgehend intakt.

Ende der 1520er, Anfang der 1530er Jahren mehrten sich die Anzeichen, dass die reformatorische Bewegung auch in Kurbrandenburg Fortschritte machte und sich untergründig allmählich ausbreitete. Wichtig war, dass sie Anhänger in der kurfürstlichen Familie fand. Kurfürstin Elisabeth wurde im Laufe der 1520er Jahre zu einer überzeugten evangelischen Christin und musste vor dem Zorn ihres Mannes, Kurfürst Joachim I., nach Kursachsen fliehen. Ihre beiden Söhne, Kurprinz Joachim und Markgraf Johann, begannen auch bald mit Luthers Ideen zu sympathisieren, auch wenn sie das bis zum Tode des Vaters nicht offen zu bekennen wagten. Auch an der kirchlichen Basis zeigte sich, dass das traditionelle Kirchenwesen zwar weithin noch intakt war, dass aber Reformen unumgänglich waren. Immer mehr Menschen wollten, dass Verkündigung und Gottesdienst im Sinne der Reformation erneuert würden und fingen mancherorts schon eigenmächtig mit dieser Erneuerung an. Evangelische Predigt und evangelisches Abendmahl gab es an einigen Orten schon vor der Einführung der Reformation 1539/40.

2. Einführung der Reformation im Kurfürstentum Brandenburg und Aufbau der reformatorischen Landeskirche unter Kurfürst Joachim II. (1535‒1571)

2.1. Auf dem Weg zur Reformation (1535‒1539)

Das Signal für den Beginn der religiösen Umorientierung war der Regierungsantritt von Kurfürst Joachim II. im Jahre 1535. Allerdings führte er nicht sofort nach Regierungsantritt die Reformation ein. Weil im Lande selbst eine breite reformatorische Bewegung fehlte und weil eine Einführung der Reformation reichspolitisch riskant war, wollte er Schritt für Schritt vorgehen. Zuerst stoppte er die gewaltsame Unterdrückung der reformatorischen Bewegung. Er ließ auch zu, dass sich in der zweiten Hälfte der 1530er Jahre reformatorisches Gedankengut in Brandenburg ausbreitete. Reformatorische Predigt und Gottesdienste wurden nicht mehr verfolgt, allerdings beschränkt, weil der Kurfürst die Neuordnung des Kirchenwesens selbst vornehmen wollte. Etwas schneller als Joachim II. war sein Bruder, Markgraf Johann von Küstrin, der über die Neumark und die brandenburgischen Besitzungen in der Lausitz herrschte. Er führte die Reformation 1536/37 schrittweise ein und baute in der Neumark rasch eine reformatorische Landeskirche auf. Während Joachim II. die kirchliche Erneuerung in seinem Herrschaftsbereich aufschob, bemühte er sich, die politischen Voraussetzungen für die Einführung der Reformation zu schaffen: Gute Beziehungen zu den Habsburgern und Jagiellonen, von denen Kurbrandenburg politisch abhängig war, sowie die Beteiligung an den religionspolitischen Vermittlungsbemühungen im Reich boten die nötige Rückendeckung für die Kirchenreform in der Mark Brandenburg.

2.2. Einführung der Reformation (1539/40)

Ende der 1530er Jahre machte dann auch Joachim II. den entscheidenden Schritt zur Kirchenreform. Er begann 1538/39 damit, eine neue Kirchenordnung ausarbeiten zu lassen, die die kirchlichen Verhältnisse in seinem Sinne erneuern sollte. Stichtag sollte der Allerheiligentag (1.11.) des Jahres 1539 werden. Um bis zu diesem Tag alles vorzubereiten, holte Joachim II. reformatorische Theologen nach Brandenburg und hielt engen Kontakt zu den Wittenberger Theologen. Den Auftakt zur Kirchenreform machte die erste offizielle reformatorische Predigt, die am 14. September 1539 von Propst Georg Buchholzer im Berliner Dom gehalten wurde. Auf sie folgte das erste offizielle evangelische Abendmahl, das am 1. November 1539 vom Brandenburger Bischof Matthias von Jagow in der Spandauer Nikolaikirche an Joachim II. und Vertreter des märkischen Adels ausgeteilt wurde. Im Sommer 1540 folgte die Kirchenordnung, die die Grundlagen der kirchlichen Erneuerung festschrieb. Diese drei Maßnahmen ‒ die evangelische Predigt, das evangelische Abendmahl und die reformatorische Kirchenordnung ‒ begründeten die reformatorische Landeskirche. Die Kirchenordnung zeigt durchweg den reformatorischen Charakter dieser Landeskirche. In allen drei Bereichen, die in einer solchen Kirchenordnung geregelt werden, folgte sie den reformatorischen Vorgaben.

Hinsichtlich der Lehre der Landeskirche machte die Kirchenordnung klar, dass in Brandenburg zukünftig aufgrund der Bibel im Sinne der Reformation gepredigt werden sollte. So heißt es in der Vorrede des Kurfürsten: „Aber erstlich und vor allen dingen wollen wir das Christus Jhesus unser Erlöser / Seligmacher und Heiland / sol gepredigt werden / Also / das wir durch den glauben an jn / geseliget werden / on unser verdienst aus lauter gnaden / Das wir auch allein in und durch seinen namen vergebung der sunden und versünung mit Gott dem Himlisschen Vater erlangen mügen / und zu der seligkeit kommen“. Im Mittelpunkt der reformatorischen Verkündigung standen also das Christusheil und der Rechtfertigungsglaube. Um dem Klerus, der größtenteils noch altgläubig war und erst nach und nach durch neu ausgebildete reformatorische Pfarrer ersetzt wurde, Leitlinien für die reformatorische Verkündigung an die Hand zu geben, wurden in der Kirchenordnung die „Kinderpredigten“ des Nürnberger Reformators Andreas Osiander abgedruckt, die eine leicht fassliche Auslegung von Luthers Kleinem Katechismus boten.

Hinsichtlich der Organisation der Landeskirche machte die Kirchenordnung klar, dass in Brandenburg das landesherrliche Kirchenregiment galt, das den Superintendenten, den Visitatoren und den Gemeindepfarrern als den Organen der kirchlichen Selbstverwaltung vorgeordnet war. Die Kirchenordnung erging im Namen des Landesherrn und die kirchlichen Amtsträger waren ihm verantwortlich. Die Bischöfe blieben zwar im Amt, wurden faktisch aber ihrer kirchlichen Befugnisse beraubt. Ihre weltliche Macht ging bald an Administratoren aus dem Herrscherhaus der Hohenzollern über.

Hinsichtlich des kirchlichen Lebens setzte die Kirchenordnung die reformatorischen Kernpunkte konsequent um: Der Gottesdienst wurde die Rechtfertigungsverkündigung konzentriert; die Sakramente wurde auf zwei – nämlich die Taufe und Abendmahl – reduziert und diese beiden wurden nach dem reformatorischen Verständnis ihrer biblischen Einsetzung gefeiert (das Abendmahl also unter beiderlei Gestalt mit Brot und Wein für alle Kommunikanten); die überkommene mittelalterliche Frömmigkeitspraxis wurde von problematischen Vorstellungen und Zeremonien gereinigt und konnte so in Teilen beibehalten werden. So gab es in Brandenburg weiterhin die traditionellen liturgischen Gewänder, die Elevation der Hostie, die Firmung, zahlreiche Feiertage und Prozessionen und eine besondere Form des Krankenabendmahls – den „Versehgang“, bei dem die geweihte Hostie feierlich zum Kranken getragen wurde. Weil der liturgische Konservatismus der Kirchenordnung nicht überall in der Landeskirche auf Zustimmung stieß, traten neben die liturgischen Vorgaben der Kirchenordnung an manchen Orten auch lokale Agenden, die stärker an den Wittenberger Gottesdienstordnungen orientiert waren.

2.3. Aufbau der reformatorischen Landeskirche (1540‒1571)

Die Vorgaben der kurbrandenburgischen Kirchenordnung wurden während der 1540er Jahre in der ganzen Landeskirche durchgesetzt. Bei Visitationen wurden die kirchlichen Verhältnisse vor Ort aufgenommen und wenn nötig neu geordnet. Vielerorts wurden mit der Reformation sympathisierende Pfarrer eingesetzt oder die alten Pfarrer auf die neue Kirchenordnung verpflichtet. Die Superintendenten mit dem kurmärkischen Generalsuperintendenten an der Spitze führten die Aufsicht über die Kirche. Ihnen zur Seite stand seit 1543 das Konsistorium, das als Gericht für kirchliche Rechtssachen fungierte. Kehrseite der reformatorischen Umgestaltung der märkischen Kirche war die Verdrängung der ,Altgläubigen‘: Der Papstkirche treue Kleriker und Gemeindeglieder gab es in Brandenburg bald kaum mehr. Die Klöster wurden größtenteils aufgelöst, einige wenige konnten als evangelische Damenstifte weiterexistieren. Die märkischen Wallfahrtsorte gingen ein oder wurden gewaltsam geschlossen.

So entwickelte sich während der Regierungszeit Joachims II. bis 1571 eine lutherische Landeskirche ‒ allerdings eine lutherische Landeskirche, die eine konservative Prägung aufwies. Joachim verfolgte mit diesem Konservatismus hinsichtlich des Äußeren zwei Ziele: Zum einen entsprach das seinem persönlichen Frömmigkeitsstil, zum anderen war es politisch nützlich, denn nach außen hin sollte die neue Kirchenordnung als eine Reform innerhalb des hergebrachten kirchlichen Systems erscheinen, die möglichst viel unangetastet ließ und nur an ein paar Punkten vorsichtige Veränderungen vornahm. Dass viel mittelalterliches Erbe erhalten blieb und weiter gepflegt wurde, galt als nicht problematisch, solange es der Bibel nicht widersprach und nicht als heilsrelevant missverstanden wurde. Gerade im Bereich der lutherischen Reformation war solcher Konservatismus nicht unüblich, auch wenn man nur selten so weit ging wie die Kurbrandenburgische Kirchenordnung von 1540.

Der äußerliche Konservatismus der brandenburgischen Reformation hat immer wieder zu Missverständnissen geführt. Bis in die gegenwärtige historische Forschung hinein attestiert man Joachim II. und seiner Kirchenreform, einen Mittelweg zwischen Wittenberg und Rom eingeschlagen zu haben. Man unterschätzt immer wieder den lutherischen Charakter der seit den 1540er Jahren entstehenden reformatorischen Landeskirche der Mark. Diese Fehleinschätzung kommt nicht von ungefähr, war es doch Joachim II. selbst, der nach außen hin diesen Eindruck erwecken wollte, um die Kirchenerneuerung politisch abzusichern. In seinem Bestreben, es sich mit den altgläubigen Mächten im Reich, vor allem mit dem Kaiser nicht zu verderben, ging es sogar soweit, die brandenburgische Reformation zu verleugnen. So 1548, als die deutschen Protestanten nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg kurzzeitig unter dem Druck der kaiserlichen Rekatholisierung standen; oder Anfang der 1550er Jahre, als Joachim II. um der Besetzung des Magdeburger Bischofsstuhls mit einem brandenburgischen Prinzen sogar eine Delegation zum Trienter Konzil schickte und sich der Papstkirche gegenüber gehorsam erklärte.

Doch beides war politisch motiviert und stellte den reformatorischen Charakter der brandenburgischen Landeskirche nicht in Frage. Was 1539/40 geschehen war und was in der Kirchenordnung und deren Verwirklichung in den Folgenjahren in der Breite der Landeskirche umgesetzt wurde, konnte seit Mitte der 1550er Jahre auch offen ausgesagt werden. Mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 wurde nämlich das Wormser Reformationsverbot von 1521 aufgehoben und damit die äußere Gefährdung der brandenburgischen Reformation abgewendet und die Absicherung der Reformation nach außen hin erreicht. Und seit den 1560er Jahren, als Joachim II. seine politischen Ziele alle erreicht hatte und keine Rücksicht mehr nehmen musste, bekannte er sich auch ganz offen zum Luthertum.

Ausblick: Die brandenburgische Landeskirche zwischen lutherischem Konfessionalismus und ,zweiter Reformation‘ (1571‒1613)

Die beiden Nachfolger Joachims II. ‒ Kurfürst Johann Georg (1571‒1598) und Kurfürst Joachim Friedrich (1598‒1608) ‒ teilten das Bekenntnis zum Luthertum – und mit ihnen die gesamte Bevölkerung der Mark Brandenburg. Die 1539/40 durch den Landesherrn eingeführte und seit den 1540er Jahren durch das landesherrliche Kirchenregiment durchgesetzte Reformation wurzelte nach und nach ein. Bauern, Bürger und Adel bekannten sich aus Überzeugung zum lutherischen Glauben. Brandenburg unterstützte 1577 die Konkordienformel, die die lutherischen Lehrstreitigkeiten beendete, und spielte dank der Universität Frankfurt a. O. eine wichtige Rolle für das deutsche Luthertum. Um 1600 war das Kurfürstentum Brandenburg ganz und gar lutherisch und ein Kerngebiet des konfessionellen Luthertums.

Doch das war nicht das Ende der brandenburgischen Reformationsgeschichte. Denn der dritte Nachfolger Joachims II., Kurfürst Johann Sigismund (1608‒1619), trat 1613 aus persönlichen Gründen zum Calvinismus über. Auch er tat das in Form einer Abendmahlsfeier, nun aber einer calvinistischen, bei der das Brot nicht in Form von Oblaten, sondern von richtigen Broten, die in Stücke gebrochen wurden, gereicht wurde. Johann Sigismund sah im brandenburgischen Luthertum eine nur halb geglückte Reformation, die allzu viel Mittelalterliches beibehalten hatte. Sein Versuch, diese erste lutherische Reformation durch eine ,zweite‘, calvinistische Reformation zu vollenden, scheiterte allerdings. Das Luthertum war in Brandenburg so breit und tief verwurzelt, dass für die zweite Reformation keine Aussicht auf erfolgreiche Durchsetzung bestand. Der Kurfürst erreichte nur, dass das calvinistische Bekenntnis des Landesherrn neben das für die Bevölkerung verbindliche lutherische Bekenntnis treten konnte, wobei sich ein spannungsreiches Nebeneinander von lutherischer Mehrheit und calvinistischer Minderheit entwickelte. Der brandenburgische Calvinismus beschränkte sich in der Folgezeit auf den kurfürstlichen Hof und eine kleine hofnahe Elite. Mit dem Konfessionswechsel der brandenburgischen Hohenzollern und der dadurch bewirkten faktischen Bikonfessionalität des Kurfürstentums Brandenburg war die brandenburgische Reformationsgeschichte zu Ende –das Konfessionelle Zeitalter hatte begonnen, in dessen Zeichen die brandenburgische Kirchengeschichte in der Folgezeit stehen sollte.

Andreas Stegmann

Weiterführende Literatur

Gundermann, Iselin: Kirchenregiment und Verkündigung im Jahrhundert der Reformation (1517 bis 1598) (in: Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, hg. v. Gerd Heinrich, Berlin 1999, 147–241)

Heinrich, Gerd: Artikel Brandenburg II. Reformation und Neuzeit (in: Theologische Realenzyklopädie 7, 1981, 111–128)

Heinrich, Gerd: Neue Kirchenordnung und „stille“ Reformation. Die Landesfürsten und die „Luthersache“ in der Mark Brandenburg (Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 57, 1989, 65–98)

Kaufmann, Thomas: Geschichte der Reformation, Frankfurt a. M. u. Leipzig 2009

Schultze, Johannes: Die Mark Brandenburg, Bd. 3: Die Mark unter der Herrschaft der Hohenzollern (1415–1535), Berlin 1963, Bd. 4: Von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden (1535–1648), Berlin 1964

Stegmann, Andreas: Bibliographie zur Brandenburgischen Reformationsgeschichte (in: Quellen und Literatur zur Reformation in der Mark Brandenburg. Beiträge zur Erforschung der brandenburgischen Reformationsgeschichte, hg. v. Karl-Heinrich Lütcke, Berlin 2015, 9–75)

Stegmann, Andreas: Die „christliche Reformation“ im Kurfürstentum Brandenburg. Mittelweg zwischen Rom und Wittenberg oder lutherische Reformation? (Theologische Literaturzeitung 141, 2016, 578–591)

Stegmann, Andreas: Die Reformation in der Mark Brandenburg, Leipzig 2017

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