Landesherrliches Kirchenregiment

Die 1539/40 geschaffene kurmärkische Landeskirche brach in mehrfacher Hinsicht mit der mittelalterlichen Kirchenstruktur: Sie orientierte sich nicht mehr an den kirchlichen Diözesangrenzen, sondern an den politischen Territorialgrenzen; sie ordnete die kirchliche Selbstverwaltung durch kirchliche Leitungsverantwortliche dem landesherrlichen Anspruch auf Kirchenleitung unter; und sie akzeptierte die Vorgaben des Landesherrn für Bekenntnis, Lehre und Gottesdienst der Kirche. Die von Kurfürst Joachim II. als christlichem Kurfürsten beanspruchte religionspolitische Kompetenz läßt mit einem Begriff der historischen Forschung als „landesherrliches Kirchenregiment“ bezeichen. Dieses landesherrliche Kirchenregiment mit seiner Territorialisierung der Kirche, mit seiner Unterstellung der Selbstverwaltung der Kirche unter den Landesherrn und mit seiner landesherrlichen Richtlinienkompetenz für Bekenntnis, Lehre und Gottesdienst hatte sich bereits im späten Mittelalter in Ansätzen entwickelt, konnte sich aber erst in der Umbruchphase der Reformation umfassend etablieren.

Grunddokumente des landesherrlichen Kirchenregiments in der Mark Brandenburg waren die Kirchenordnungen, die als staatliche Religionsgesetze erlassen und mit staatlichen Machtmitteln durchgesetzt wurden. Sah die Kirchenordnung von 1540 noch eine Fortexistenz der diözesanbischöflichen Strukturen vor, erwies es sich bald als notwendig, die schon in der Kirchenordnung enthaltenen Alternativstrukturen auszubauen. Das landesherrliche Kirchenregiment vollzog sich durch kirchliche Selbstverwaltungsorgane: den kurmärkischen Generalsuperintendenten und die Inspektoren (bzw. Superintendenten), die Visitatoren und das Konsistorium sowie die kirchlichen Amtsträger und laikalen Funktionsträger auf gemeindlicher Ebene. Indem der brandenburgische Kurfürst sein Kirchenregiment auf eine Richtlinienkompetenz beschränkte, es theologisch mit seiner Verantwortung als „christlicher Kurfürst“ begründete und verantwortlich in Übereinstimmung mit Kirche und Ständen wahrnahm, kam es zu keiner politischen Überfremdung der Kirche. Von einem „Summepiskopat“ des Landesherrn kann man im 16. Jahrhundert noch nicht sprechen.

Auch in der Neumark und den mit ihr verbundenen Territorien entstand seit 1537/38 eine unter Leitung des Landesherrn stehende evangelische Landeskirche, die allerdings ohne eine territoriale Kirchenordnung und ein Konsistorium auskam. Kirchenrechtlich orientierte man sich an der Brandenburgisch-Nürnbergischen und der Brandenburgischen Kirchenordnung, die durch eigene Ordnungen ergänzt wurden. Organisatorisch übernahm ein nicht fest institutionalisiertes Gremium von markgräflichen Räten und kirchlichen Leitungsverantwortlichen die Aufgaben des Konsistoriums.

Andreas Stegmann

Literatur:

Heckel, Johannes: Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Summepiskopats [1924] (in: Johannes Heckel: Das blinde, undeutliche Wort ,Kirche‘. Gesammelte Aufsätze, Köln u. Graz 1964, 371–386)

Hintze, Otto: Epochen des evangelischen Kirchenregimentes in Preußen [1906] (in: Otto Hintze: Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, Bd. 3: Regierung und Verwaltung, Göttingen 21967, 56–96)

Stegmann, Andreas: Die Kirchenpolitik des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. (1535-1571) (Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 71, 2017)

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